Training fürs Leben – Bewegung ist Medizin

von Nash Anderson B.Sc M.Chiro und James Steele, PhD, Dozent für angewandte Sportwissenschaften an der Southampton Solent University

Neulich, in der ärztlichen Praxis, hörte Nash die tolle Aussage eines Patienten, der sagte: „Die Leute fragen mich, warum ich die ganze Zeit ins Fitnessstudio gehe. Sie fragen mich, wofür ich trainiere. Ich trainiere fürs Leben! Quintessenz dieser Unterhaltung war, dass wir, auch wenn wir durch „Wehwehchen“ eingebremst werden, in Schwung und aktiv bleiben müssen, um uns richtig wohl zu fühlen.

Es ist immer schön zu sehen, wenn Patienten verstehen, dass Bewegung fürs Leben ist. Um die Früchte zu ernten muss man kein Profisportler sein, oder sich auf ein bestimmtes Ereignis vorbereiten. Wenn diese Auffassung doch nur weiter verbreitet wäre!

Dieser Artikel wurde durch die o.g. Erfahrung im klinischen Alltag angeregt, sowie durch die Teilnahme am Symposium „Exercise is Medicine“ („Training/Bewegung ist Medizin“) der Royal Society of Medicine in London im Juni 2015.
Der Austausch mit @BJSM_BMJ (Anm.: Account des British Journal of Sports Medicine) auf Twitter spornte mich dazu an, dies niederzuschreiben und die Erkenntnis über die Bedeutung und die Vorteile der körperlichen Bewegung zu teilen.

Verschiebung des Augenmerks weg von ästhetischen Aspekten zugunsten des gesundheitlichen Nutzens eines Trainings

Leider werden körperliche Aktivität und Training von Vielen lediglich als ein Mittel betrachtet auf potenzielle kurzfristige Ziele, in Bezug auf äußerliche Ergebnisse wie Leistungssteigerung oder Verbessern des Aussehens bezüglich der Körperzusammensetzung hin zu arbeiten. All diejenigen die sich durch Training körperlich betätigen, werden eines dieser Ziele auch bis zu einem gewissen Grad erreichen. Allerdings mag das Ergebnis am Ende nicht so aussehen wie erwartet. Dies führt zu Entmutigung und zur Frage nach dem eigentlichen Sinn des Trainings. Es kann frustrierend sein, wenn man zwei Monate lang 4-5 mal pro Woche trainiert mit dem Ziel, dadurch abzunehmen, wenn man am Ende sogar schwerer ist, aufgrund der Tatsache dass begleitend zum Fettabbau die fettfreie Masse ansteigt.

Eine weitere häufig beobachtete Enttäuschung besteht darin, am Ende eines Muskelaufbauprogramms nicht so muskulös zu erscheinen wie ursprünglich beabsichtigt, trotz der lebhaften Vorstellung der nächste Arnold Schwarzenegger zu werden. Es ist leider harte Realität, dass nicht jeder seine anfänglichen Ziele erreichen wird und dass bei vielen solchen Zielen die Aussicht auf Erfolg überbewertet wird. Der Eindruck, prominente Erfolgsgeschichten seien repräsentativ, ist leider ein Trugschluss. Sie stechen lediglich aus der Masse der vielen anonymen Misserfolge hervor. Aber beruht der Erfolg hier wirklich auf einer besonderen Form des Trainings, oder liegt das spezielle Ergebnis in den Genen?

In der Reaktion auf Training und körperliche Aktivität unterliegen wir alle interindividuellen Unterschieden, die vorrangig auf genetische Faktoren zurückzuführen sind (Hubal et al., 2005; Timmons, 2011). Andererseits weiß man, dass Training und körperliche Aktivität solch ein breit gefächertes Spektrum an möglichen positiven Effekten nach sich zieht, dass beinahe jeder in irgendeiner Form davon profitieren kann. Leider ist aber gesundheitlicher Nutzen und damit verbunden eine langfristige Eindämmung von Risikofaktoren schlichtweg nicht so sexy wie ein gut definierter, muskulöser Körper, oder auch das Erreichen eines prägnant hohen Leistungsniveaus.

Wir müssen einen Weg finden wie wir die Wahrnehmung, dass Training primär auf äußerliche, ästhetische Ergebnisse abzielt, aus den Köpfen der breiten Öffentlichkeit verschwinden lassen können. Die Botschaft muss vielmehr lauten, dass auch wenn primäre Trainingsziele nicht erreicht werden, man das Training deswegen nicht aufgeben, sondern fürs Leben trainieren sollte. Es ist bekannt, dass Sport und körperliche Aktivität in einer Dosis-Wirkungs-Beziehung (Lee & Skerret, 2001; Byberg et al., 2009) das allgemeine Sterblichkeitsrisiko senken (Paffenbarger et al., 1986; Nocon et al., 2008). Wird noch etwas intensiver und fleißiger trainiert, werden die positiven Effekte auf die Langlebigkeit sogar noch grösser (Lee et al., 2003; Wisloff et al., 2006; Laukkanen et al., 2010). Sich fit zu halten, basierend auf Training und körperlicher Aktivität, scheint einer der primären Faktoren zu sein, die Langlebigkeit nachhaltig beeinflussen. Kardiorespiratorische Fitness (Kokkinos et al., 2008; Lee et al., 2011; Wen et al., 2011), Kraft (Newman et al., 2006; Ruiz et al., 2008; Leong et al., 2015), Muskelmasse (Srikanthan & Karlamangla, 2014), oder eine Kombination dieser Aspekte (Artero et al., 2011) sind alle in der Lage, multiple Sterblichkeitsrisiken zu reduzieren, mit möglichen lebensverlängernden Folgen. Wir sprechen hier nicht über riesige Verbesserungen hinsichtlich messbarer Fitnesswerte, wie wir sie bei professionellen Sportlern beobachten können, sondern lediglich vom Erreichen der eigenen genetisch vorgegebenen Möglichkeiten aufgrund von Bewegung und körperlicher Aktivität.

Es geht aber nicht nur darum, für ein längeres Leben zu trainieren, sondern auch für verbesserte Körperfunktionen und eine gesündere Lebensqualität. Es existieren reichliche Hinweise, dass Training ein breites Feld an Vorzügen bezüglich gesundheitlicher Aspekte offeriert, einschließlich einiger der unten aufgelisteten Punkte. Mehr noch, mit einem solch breiten Spektrum möglicher positiver Resultate ist es hochgradig wahrscheinlich dass man sich zumindest etwas Gutes tut, selbst wenn man ästhetische oder leistungsbezogene Ziele, die sich leicht beobachten oder messen lassen, nicht erreicht. Tatsächlich schließt eine aktuelle Studie beinahe frech, dass „…es niemanden gibt, der nicht auf irgendeine Weise auf ein widerstandsgestütztes Trainingsprogramm reagiert…“ (Churchward-Venne et al., 2015). Was folgt ist eine kleine Auswahl möglicher Verbesserungen die durch Bewegung und körperliche Aktivität erreicht werden können, sei es mittels ausdauer- oder kraftbasierten Trainings, die im o.g. „Exercise is Medicine“ Symposium der Royal Society of Medicine im Juni angesprochen wurden.

Kopf/Geist

  • Verbesserte Wahrnehmungsfähigkeit und u.a. längere Aufmerksamkeitsspannen, besseres Kurzzeitgedächtnis usw. bei älteren Erwachsenen und bessere Hirnleistung
  • Verlangsamte Abnahme kognitiver Fähigkeiten

Stimmung

  • Verringerter Hang zur Depression
  • Weniger Angst und Beklemmung
  • Mannschaftssportarten fördern die Beteiligung an Gemeinschaftsaktionen und steigern dadurch die allgemeine Gesundheit und Zufriedenheit
  • Verbessertes Selbstwertgefühl

Bewegungsapparat

  • Moderates Training ist gut für Gelenkknorpel
  • Häufig: Gewichtskontrolle
  • Häufig: Kraft, Ausdauer und Energie
  • Häufig: Beweglichkeit und Koordination
  • Erhöhte Knochendichte
  • Verringerte Schmerzen und Gelenkbeschwerden, Bewegung spielt eine wichtige Rolle beim Reduzieren Arthrose-bedingter Symptome
  • Reduzierte Schmerzen und Symptome bei Fibromyalgie
  • Verbesserte Beweglichkeit
  • Verbesserte Leistungsfähigkeit
  • Positive genetische Veränderungen in Bezug auf Alterungsprozesse
  • 30-60% verringertes Risiko einer Schenkelhalsfraktur
  • Positive Trainingseffekte überwiegen gegenüber den Risiken einer Osteoporose

Innere Organe

Herz

  • Verringertes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Bewegung ist besser als eine perkutane koronare Intervention zur Gewährleistung des Überlebens ohne ein akutes kardiales Ereignis
  • Verringerter Ruheblutdruck
  • Jede Steigerung der körperlichen Aktivität um 200 Schritte pro Tag hilft, das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung um 8-10% zu verringern
  • Regelmäßiges Training ist effektiver als ein Einsetzen von Stents

Verdauungstrakt

  • Verkürzte Zeit der Darmpassage
  • Verbesserte Ergebnisse nach Darmkrebs-Operationen
  • Weniger Nebenwirkungen bei einer Chemotherapie
  • Geringere Sterblichkeitsrate nach einem Jahr
  • Höhere Einjahres-Überlebensrate

Brustkrebs

  • Regelmäßiges Training kann das Brustkrebsrisiko bis zu 20% reduzieren

Diabetesrisiko

  • Verbesserter Glukose-/Insulinstoffwechsel

Allgemein

  • 30-prozentige Verringerung aller Sterblichkeitsursachen, verbunden mit einer höheren Lebenserwartung
  • Verringerter Körperfettanteil
  • Verringerter Bauchfettanteil
  • Verbesserte Blutfettwerte
  • Erhöhter Grundumsatz
  • Verbesserte Schlafqualität

Wir müssen uns vom Blick auf kurzfristige Trainingserwartungen lösen. Training ist viel mehr als nur abzunehmen oder Muskelmasse aufzubauen. Die breite Öffentlichkeit muss ein besseres Verständnis für die umfassenden Vorzüge körperlicher Aktivität erlangen. Jeder der diesbezüglich gefragt wird:

  1. Wenn Du ins Fitness-Studio gehst um Muskulatur aufzubauen, aber Dein Ziel nicht erreichst, warum gehst Du dann überhaupt? Wofür trainierst Du?
  2. Oder, wenn Du ins Fitness-Studio gehst um abzunehmen, aber Dein Ziel nicht erreichst, warum gehst Du dann überhaupt? Wofür trainierst Du?

sollte in der Lage sein zu antworten: “Ich trainiere fürs Leben!”

Daher empfehle ich eindringlich die Verwendung von motivierenden Infografiken bezüglich der Vorteile körperlichen Trainings wie z. B. diese hier in einem kürzlich veröffentlichen BJSM Blog von Andrew Murray et al. in unseren Auftritten in den sozialen Medien, um diese einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen.

Abschließend noch zwei schöne Zitate vom “Exercise is Medicine” Symposium:

“Man ist nie zu alt um etwas Neues anzufangen” – Dr. Charles Eugster (95 Jahre jung!)

“Bewegungsmedizin muss sich vom gängigen medizinischen Modell lösen. Vorbeugen ist besser als Heilen!” Prof. John Buckley.

Sowohl die Quintessenzen und Zitate des “Exercise is Medicine” Symposiums der Royal Society of Medicine in London im Juni 2015, als auch der Austausch mit @BJSM_BMJ auf Twitter haben mich veranlasst, diesen Artikel zu schreiben und die Botschaft zu weiterzuverbreiten.

Die betreffenden Tweets und Informationen sind hier nachzulesen:
http://www.sportmednews.com/blog/category/exercise

Artikel übersetzt aus dem Englischen von:

Isabel Schneider

M.A. Englisch als Fremdsprache

MA Sportwissenschaften

Dozent an der H:G Hochschule für Gesundheit und Sport, Technik und Kunst

Isabel.Schneider@my-campus-berlin.com

Physio-Motion – Beratung und Dienstleistungen rund um Sport, Bewegung und Gesundheit

www.physio-motion.de

www.facebook.de/physi0motion

www.youtube.de/physi0motion

@isi69schneider

Der Artikel wurde im Original auf Englisch publiziert bei BJSM blog (https://stg-blogs.bmj.com/bjsm/). Hier können Sie den Artikel im Original lesen: https://stg-blogs.bmj.com/bjsm/2016/02/23/train-for-life-exercise-is-medicine/

Literatur:

  1. Artero, E.G., et al., 2011. A prospective study of muscular strength and all-cause mortality in men with hypertension. J Am Coll Cardiol. 57(18), pp 1831-1837
  2. Byberg, L., et al., 2009. Total mortality after changes in leisure time physical activity in 50 year old men: 35 year follow-up of population based cohort. Br J Sports Med. 43(7), pp 482
  3. Churchward-Venne, T.A., et al., 2015. There are no nonresponders to resistance-type exercise training in older men and women. J Am Med Dir Assoc. 16(5), pp 400-411
  4. Hubal, M.J., et al., 2005. Variability in muscle size and strength gain after unilateral resistance training. Med Sci Sports Exerc. 37(6), pp 964-972
  5. Kokkinos, P., et al., 2008. Exercise capacity and mortality in black and white men. Circulation. 117(5), pp 614-622
  6. Laukkanen, J.A., et al., 2010. Cardiorespiratory fitness, lifestyle factors and cancer risk and mortality in Finnish men. Eur J Cancer. 46(2), pp 355-363
  7. Lee, I., and P. J. Skerrett, 2001. Physical activity and all-cause mortality: what is the dose-response relation? Med Sci Sports Exerc. 33(6), S459 – S471
  8. Lee, I., et al., 2003. Relative intensity of physical activity and risk of coronary heart disease. Circulation. 107(8), pp 1110 – 1116
  9. Lee, D. C., et al., 2011. Comparisons of leisure-time physical activity and cardiorespiratory fitness as predictors of all-cause mortality in men and women. Brit J Sports Med. 45, pp 504 – 510
  10. Lee, D.C., et al., 2011. Long-term effects of changes in cardiorespiratory fitness and body mass index on all-cause and cardiovascular disease mortality in men: the Aerobics Center Longitudinal Study. Circulation. 124(23), pp 2483-2490
  11. Leong, D. P., et al., 2015. Prognostic value of grip strength: findings from the Prospective Urban Rural Epidemiology Study. Lancet. 386(9990), pp 266-273
  12. Newman, A. B., et al., 2006. Strength, but not muscle mass, is associated with mortality in the health, aging and body composition study cohort. J Gerontol. 61A(1), pp 72 – 77
  13. Nocon, M., et al., 2008. Association of physical activity with all-cause and cardiovascular mortality: a systematic review and meta-analysis. Eur J Cardiovasc Prev Rehabil. 15(3), pp 239 – 246
  14. Paffenbarger, R.S. et al., 1986. Physical activity, all-cause mortality, and longevity of college alumni. N Engl J Med. 314(10), pp 605-613
  15. Ruiz, J.R., et al., 2008. Association between muscular strength and mortality in men: prospective cohort study. BMJ. 337, pp a439
  16. Srikanthan, P., & Karlamangla, A.S., 2014. Muscle mass index as a predictor of longevity in older adults. Am J Med. 127(6), 547-553
  17. Timmons, J.A., 2011. Variability in training-induced skeletal muscle adaptation. J Appl Physiol. 110(3), pp 846-853
  18. Wen, C. P, et al., 2011. Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study. The Lancet. 378, pp 1244 – 1253
  19. Wisloff, U., et al., 2006. A single weekly bout of exercise may reduce cardiovascular mortality: how little pain for cardiac gain? ‘The HUNT study, Norway’. Eur J Cardiovasc Prev Rehabil. 13(5), pp 798 – 804

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